Hans-Jochen Vogel
07:55 Minuten
Von Tobias Krone |
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Die Mieten in Großstädten steigen rasant. Für das SPD-Urgestein Hans-Jochen Vogel ist das ungerecht und gefährlich für die Demokratie. Noch immer aktuell ist deshalb sein Vorschlag aus den 70er-Jahren, Bodenspekulation per Gesetz zu unterbinden.
Wer 93 Jahre alt ist und wie Hans-Jochen Vogel auf eine jahrzehntelange Politikerkarriere zurückblicken kann, der könnte sich eigentlich entspannt zurücklehnen. Hans-Jochen Vogel sitzt im Rollstuhl. Er ist an Parkinson erkrankt. Gerade kommt er mal wieder vom Arzt. Nun sitzt er im Besprechungszimmer seines Altenheims – und macht Politik.
Dieses Anliegen blieb liegen
"Es beruhigt mein Gewissen, dass ich mich nun wirklich engagiere. Wenn Sie meinen Schreibtisch sehen, welche Gebirge ich da habe und was ich täglich an Briefen diktieren muss."
Um beim Bild des Schreibtisches zu bleiben: Es ist da etwas liegen geblieben in all den Jahren, in denen Vogel sich in den Dienst der sozialliberalen Koalition der Bundesrepublik stellte und in den 80er-Jahren dann die schwächelnde SPD zu verwalten hatte. Eine Sache wäre da noch, die den Münchner Sozialdemokraten hörbar erregt: Die Lage auf den Mietmärkten der Großstädte ist dramatisch. Und seiner Partei ist in der großen Koalition nichts Besseres eingefallen als die Mietpreisbremse.
"Ja, das war ja der Anlass, dass ich mich wieder zu Wort gemeldet habe. Dass es mich eben verwundert und eben auch gestört hat, dass über die Mietpreise und die Mietpreisbremse geredet wurde und immer wieder auch festgestellt wurde, dass die eigentlich nicht hilft. Dass aber über die Ursache kein Wort verloren wurde."
Gegen Bodenspekulation
Hans-Jochen Vogel ist Jurist. Und betrachtet die Dinge deshalb gerne nüchtern. Die Ursache sieht er weniger bei raffgierigen Miethaien, sondern vielmehr bei denjenigen, die mit dem Baugrund spekulieren.
"Grund und Boden ist nicht eine beliebig reproduzierbare Ware, sondern er ist unvermehrbar und er ist für jeden Menschen unverzichtbar. Drum hat das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 1967 gesagt: Die Regeln des Marktes können auf diesem Gebiet nur mit Einschränkungen gelten. Stattdessen muss für weite Bereiche das Allgemeinwohl Orientierung geben und nicht die Gewinnsteigerung."
"Tiefe Ungerechtigkeit"
Zu diesen Sätzen schlägt Hans-Jochen Vogel des Öfteren kraftvoll mit der Faust auf den Tisch. Denn spätestens seit der Finanzkrise 2008 verdienen Spekulanten eifrig daran mit, dass ihr Grund und Boden immer teurer wird, ohne dass sie selbst etwas dazutun müssen.
"Es ist eine tiefe Ungerechtigkeit, dass, wenn in das Privateigentum an Grund und Boden eingegriffen wird vom Staat, dass dann Entschädigung gezahlt werden muss. Wenn aber Bodenpreisgewinne entstehen ohne eigene Leistung des Eigentümers, weil ihm ein Baurecht erteilt wird, oder weil die Gemeinde in der Nähe seines Grundstücks Infrastrukturmaßnahmen trifft – Schulen Kindergärten, Straßenbahnen und so weiter – dann bleibt ihm dieser leistungslose Gewinn."
Auch die CSU war dafür
Wenn es nach Hans-Jochen Vogel gegangen wäre, dann müsste er all das heute gar nicht mehr erläutern. Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann hätte schon Mitte der 70er-Jahre das Allgemeinwohl den Kampf gegen die Bodenspekulation gewonnen. Damals stand sein Gesetz zum so genannten Planungswertausgleich kurz vor der Abstimmung im Bonner Bundestag. Sogar die politische Konkurrenz hatte er auf seiner Seite – zumindest am Anfang.
"Die CSU hat 1973 auf einem Parteitag im September auch den Planungswertausgleich beschlossen. Franz-Josef Strauß hat da eine lebhafte Rede gehalten. Ich habe jetzt den Wortlaut nicht dabei – aber à la bonne heure!"
Wieder aktuell
Doch nach und nach führten die Christsozialen Zweifel ins Feld an der Machbarkeit für die Gemeinden. Und schließlich siegte die parteipolitische Polemik.
"Dass man auf diesem Hintergrund der SPD vorhalten konnte, dass sie alle enteignen wollte, dass sie auch die kleinen Leute enteignen wollte, auch die Landwirte. Und das hat im Wahlkampf eine gewisse Rolle gespielt."
Es wurde dann nichts aus dem Gesetz. Bauminister Vogel wechselte ins Justizministerium. Und die Sache versandete. Erst jetzt interessiert sich wieder eine Kommission der Bundesregierung für die Idee, dass die Eigentümer von Grundstücken auch für die Infrastruktur mitzahlen sollen.
Vorbild Wien
Währenddessen kämpft in Berlin eine Bürgerinitiative mit einem Volksentscheid ganz offen für eine Enteignung großer Wohnungskonzerne durch den Stadtstaat. Vogel sieht das ganze eher skeptisch.
"Es ist zwar meiner Meinung nach dem Artikel 15 im Grundgesetz möglich, das zu vergesellschaften, aber es hat enorme Zahlungen seitens der Stadt Berlin zur Folge. Und da ist es mir lieber, dass das viele Geld nicht diese GmbH bekommt, sondern dass die Stadt solche Summen für eigene Baumaßnahmen verwendet und für eigenen Grundstückserwerb."
Als ein Vorbild nennt er die österreichische Hauptstadt Wien, die seit 100 Jahren den Bau sozialer Wohnungen fördert und diese kaum aus der Hand gibt.
"Fast zwei Drittel derer, die in Mietwohnungen in Wien leben, die leben in solchen Mietwohnungen, die auf städtischem Grund erbaut worden sind. Und die Mieten sind von einer Konstanz, die einen neidisch werden lässt. Sie liegt noch immer pro Quadratmeter bei etwa sechs Euro, während bei uns schon Werte von zwölf und sogar 17 Euro aktuell sind."
Rettung der Demokratie
Hans-Jochen Vogel hat alle Zahlen für seine Argumente im Kopf. Und auch das Hauptargument, warum es sich zu kämpfen lohnt, hat sich ihm eingebrannt.
"Wenn die Wohlfahrt oder der Wohlstand gerade auf dem Mietsektor infrage gestellt ist, wenn sich normale Menschen auch schon Mieten nicht mehr leisten können in den Städten, dann auch gerät der Zusammenhalt, das heißt auch die Demokratie in Gefahr. Und deswegen ist es so notwendig und wichtig, dass wir uns mit diesem Thema beschäftigen."
Für sein Gesetz, das heute so viel verändern könnte, kämpft Hans-Jochen Vogel mit 93 Jahren immer noch täglich – mindestens drei Stunden am Vormittag – und eine am Nachmittag. Wenn er nicht zum Arzt muss:
"Von meinen gesundheitlichen Problemen lenkt es mich ab und solange der Kopf noch einigermaßen in Ordnung ist, will ich auch noch etwas tun."